Muttergefühle kamen viel zu spät, Folgen?

Hallo,
Entschuldigung, das könnte ein bisschen länger werden. Vielleicht möchte ich es mir nur mal von der Seele schreiben.
Ich denke viel nach über das erste Babyjahr nach . Die waren für mich, und bestimmt auch für meine Tochter, wahnsinnig schwer. Das hatte zur Folge, dass ich mich einfach nicht richtig auf meine Rolle als Mutter einlassen konnte und ich frage mich, ob es im Nachhinein meiner Tochter geschadet hat.
Ich war von Anfang an alleine mit ihr. Ihr Vater ist 2 Wochen vor der Geburt abgehauen und hat keinerlei Interesse an ihr. Er war oder ist meine große Liebe, bis heute und es hat mich völlig von den Socken gehauen, dass er uns allein gelassen hat. ich habe sehr viel Zeit gebraucht, um die Situation zu verarbeiten und zu akzeptieren.
Die ersten 6 Monate allein mit meiner Tochter waren für mich wirklich die Hölle. Es hat ihr nie etwas gefehlt, außer wahrscheinlich Empathie von mir. Weil ich einfach viel zu sehr mit mir selbst und dem Geschehenen beschäftigt war. Ich hatte überhaupt keine Muttergefühle. Habe sie Tag ein Tag aus versorgt, immer mit dem Blick auf die Uhr, wann sie endlich wieder schlafen geht und ich Zeit für mich habe. Das hat sie ganz bestimmt gespürt. Ich denke dass sie deswegen als Baby extrem fordernd, quengelig und anstrengend war. Es gab Zeiten, da habe ich es beinahe bereut, ein Baby bekommen zu haben.

Mir tut es im Herzen weh, denn ich wollte trotzdem immer das Beste für sie und habe immer versucht ihr alles recht zu machen. Dennoch wollte ich auch einfach meine Ruhe haben. Es war irgendwie wie eine Spirale in der wir uns gedreht haben. Ich war immer schnell genervt und gereizt (nie handgreiflich oder sowas!) und dadurch wurde sie noch unruhiger.

Sie musste 11 Monate alt werden, bis ich ihr das erste Mal sagte, dass ich sie liebe. Es hat soo lange gedauert, dass ich überhaupt Gefühle entwickelt habe.
Heute ist sie 16 Monate alt, und liebe ich sie über alles, wir unternehmen so viel zusammen und es ist einfach schön.
Aber ich mache mir Sorgen darüber, dass meine emotionale Distanz im ersten Jahr vielleicht Spuren hinterlassen haben könnte.
Sie ist heute oft noch anstrengend, nur kann ich jetzt damit ganz anders umgehen und auf sie eingehen . Damals hatte ich einfach keinen nerv dafür.
Ich habe deswegen ein sehr schlechtes Gewissen und Schuldgefühle

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Weisst du, die menschliche Spezies zeichnet sich vor allem durch ihre Lern- und Anpassungsfähigkeit aus. Du und deine Tochter hattet einen sehr schweren Start und vielleicht bist du deiner Tochter emotional in dieser Zeit nicht immer gerecht geworden. Du hast das aber geändert und zwar nicht erst mit ihrer Volljährigkeit, sondern noch in einer frühen Entwicklungsphase. Deine Tochter hatte also die Möglichkeit, neue Erfahrungen mit dir zu machen und hat gelernt, dass sie emotional gut aufgehoben ist. Jedes Mal, wenn sie dich als verlässliche und zugewandte Bezugsperson erlebt, relativieren sich die Erfahrungen aus der Anfangszeit noch ein bisschen mehr, bis am Schluss das Positive komplett im Vordergrund steht. Also, mach dir keine Vorwürfe, du hast dein Bestes getan und deine Tochter wird langfristig keinen Schaden nehmen, sofern es in Zukunft dauerhaft anders (besser) läuft.

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Sei mal nicht so hart mit dir!
Du hast es selber erkannt und hast noch so so viele JAHRE Zeit. Natürlich, das erste Jahr ist besonders, Urvertrauen kann man nicht nachholen, aber du hast sie ja nicht komplett ignoriert und sich selbst überlassen.
Es gibt unendlich viele Babys , die aus unterschiedlichen Gründen nicht den perfekten Start ins Leben habe können, obwohl es alle verdient hätten.
Nun startet ihr zwei durch und genießt euer Glück zusammen.

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Es wird sicher so sein, dass Du manchmal nicht bei der Sache warst, nicht richtig gehandelt gast, mehr funktioniert hast, deine Gefühle nicht zeigen konntet oder von ihnen überwältigt wurdest, mal leichter reizbar warst und dass es dein Kind gemerkt hat und auch seinerseits quengeliger war....

... Aber ich denke, dass Du doch viel viel zu streng mit dir bist. Man begleitet ein Kind bis es ganz abgenabelt ist heutzutage 25 Jahre. Welche Mutter ist 25 Jahre lang immer voller herzenswärme, leichtfüßig, glücklich, geduldig, sorglos, fröhlich, leistungsstark? Welche??? Keine! Welche Mutter wünscht sich nicht manchmal auch nun Tag kinderfrei zu sein um mal so richtig den depri Eiscreme Tag zu schieben oder nochmal so sorglos 16? Jede!

Die Wahrheit ist: Es können einen auch mit dem perfektesten Bilderbuchstart ins Mutterdasein immer Dinge im Leben umhauen und treffen mit denen man so niiie gerechnet hätte und was wärst du für ein Mensch, wenn dich das alles kalt gelassen hätte? Du hattest extremem Stress, Schmerz und Druck, aber Du hast diese Phase überwunden, bist aus dem schlimmsten raus, hast trotzdem in deine Mutterrolle gefunden und machst deinen Job bestimmt sehr gut. Dein Kind hat höchstens gelernt, dass es auch in harten, heftigen Phasen versorgt wird und nun die Möglichkeit über all die vielen Jahre die noch folgen dich immer besser kennenzulernen.

Ich glaube ehrlich gesagt auch, dass du der Alete Hip Werbung erlegen bist und erwartest hast: Baby da und schwupps Happy End! Da sind sie die wohligen warmen Muttergefühle fur das beste Kind der Welt, die tiefe innerste Erfüllung deines Herzens und all deiner Träume endlich Mutter sein zu dürfen. Und stattdessen: Erschöpfung, Unsicherheit, ein ganz neuer Grad an Ängsten, Verantwortung und Sorgen.

Es gibt sicher Frauen für die ist das so heimelig schön wie in der Werbung ist. Aber glaube mir, es ist nicht das Novum, dass es so ist. Die Natur sieht vor, dass wir in diese Rolle reinwachsen, dass auch Frauen, die Babys vorher total doof fanden, ein Jahr später verzückt von ihrem Schatz schwärmen, obwohl sie zuvor noch rumgejammert haben, dass sie Kinder gar nicht leiden können. Die Natur erwartet nicht, dass sofort alles so läuft wie es soll. Junge Eltern machen ihre Fehler und lernen ihr Kind immer besser kennen und durch diese Auseinandersetzung schließlich lieben. Niemand erwartet, dass man sofort lieben muss.

Als ich mein erstes Baby das erste Mal sah, war das so surreal für mich. Es war unglaublich kräftig, laut und schrie mit einer irre schrillen Stimme und als es endlich schlief war ich bloß froh drum. Es fühlte sich an wie eine Bombe, die jederzeit hochgehen kann und was zur Hölle mache ich dann, um es wieder zu beruhigen??? Die Schwestern witzelten, dass sie Gläser zersingen kann. Mir brummten die Ohren. Ich war echt platt. Wir zwei mussten uns auch erstmal anfreunden und heute: ich würde alles tun, damit sie sicher ist und glücklich lebt. Trotz Teenyalter machen wir viel zusammen und sind durch alle Höhen und Tiefen durch. Kein Mensch kennt mich so gut wie sie. Ich erzähle ihr immer sie soll raus in die Welt, dass es wichtig ist später seine eigenen vier Wände zu haben. Und sie sagt. Ach du Mama, eigentlich kann ich doch auch gegenüber einziehen, dann können wir uns immer sehen ;). Klar wird das auch noch anders werden.

Das erste Babyjahr war so schwer. Sie war nicht gesund, hatte Schmerzen, hat viel geweint, viele würden sagen Schreikind, ich war oft einfach nur müde. Es ging vorüber. Sie ist jetzt fast 14, ich kann nicht sagen, dass sie irgendwas seelisch davon zurückbehalten hat, trotzdem das erste Jahr nicht leicht war. Ja mein Gott, wir hatten eben Startschwierigkeiten, wie viele andere auch. Dafür hat sie so viele andere Phasen so toll gemeistert, wo andere Theater hatten. Irgendwann hat jeder bei irgendwas seine Feuerprobe. Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Du hast jetzt jeden neuen Tag die Möglichkeit etwas besser zu machen und ich sage dir, dein Kind wird es merken, deine Mühe auch wenn du nicht perfekt bist, deine Liebe und es wird eines Tages auf eine gute Kindheit zurückblicken. Macht euch das Leben so schön es eben geht. Bestrafe dich nicht weiter für die Vergangenheit, sondern gestalte eure Zukunft! Gib einfach dein Bestes. Sei lieb zu dir und zu deinem Kind und es wird alles Gut werden. Es ist okay, mal durch etwas Schweres durchzumüssen. Es ist okay, dass sich Gefühle erst entwickeln müssten. Nach deinem Text habt ihr jetzt eure gute liebevolle Bindung. Macht einfach so weiter und es wird alles gut werden.

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Hey

Was dir mit deinem Ex widerfahren ist.. unglaublich hart. Es tut mir leid, daß ihr dadurch einen blöden Start hattet, du und deine Tochter.

Ich finde, du bist sehr gut in der Mutterrolle angekommen. Mutterrolle ist für mich auch nicht das, was in den 1.5-Minuten-Werbungen passiert (die Vorschreiberin hat es gut ausgedrückt), sondern ob du als Mutter bzw. Person fähig bist, dich selbst zu reflektieren. Nicht nur in Bezug auf dein Kind, sondern allgemein. Ob du fähig bist, die Situation anzunehmen und dich anzupassen. Ich glaube, denn es klingt danach, das kannst du. Du bist empathisch. Welches Kind wünscht sich nicht eine Mama wie dich? 😅 Nichts ist schlimmer, als eine Mutter zu haben, die all das nicht kann, Fehler bei sich selbst nie sieht und auf Stufe schaltet. DA leidet man als Kind langfristig!

Ich glaube, daß ihr zwei auf einem sehr guten Weg seid, ein gutes Team zu werden, zumindest bis zur Pubertät 😇.

Lg